Re 450, die Lok mit den Drehgestellen ohne Drehzapfen

  • Seit diesem Jahr kann man sich als Experte für Polymechaniker die Prüfung welche man betreuen möchte selber aussuchen. So nutzte ich die Chance Beruf, Hobby und örtliche Nähe gleich unter einen Hut zu bringen. Was nichts anderes bedeutet, ich habe mir eine Prüfung bei der SBB Werkstätte in Zürich Altstetten ausgesucht.


    Unter anderem war ein Fahrmotor mit Achse an einem Drehgestell zu tauschen. Heute habe ich es zeitlich genau getroffen und konnte live zuschauen wie der Lokkasten auf das revidierte Drehgestell abgesenkt wurde. Sehr auffällig ist, es gibt keinen Drehzapfen. Auf dem Drehgestell stehen je drei zueinander abgestimmte Federn in einem Dreieck angeordnet. Diese Federn werden von drei Zapfen am Lokkasten zentriert. Der Lokkasten ruht also auf sechs Federn pro Drehgestell. In der Kurve wird also das ganze Federpaket leicht verdreht. Der maximal Ausschlag eines Drehgestells beträgt pro Seite bis zum Anschlag 117 mm. Wobei der Anschlag im Normalbetrieb nie erreicht wird.


    Damit das Drehgestell richtig funktioniert muss die Tiefanzuglenkung richtig justiert sein. Damit wird das Drehgestell in Position gehalten und erhält das richtige Längsspiel.


    In der Mitte des Drehgestells steht ein Vierkant, dieser passt mit entsprechend viel Spiel in einen Innenvierkant im Lokkasten und hat nur die Aufgabe das Drehgestell als letzte Sicherung bei einem Unfall in Position zu halten. Zusätzlich gibt es noch ein Vierkantprofil am Drehgestell mit einer Auflage am Lokkasten, so fällt das Drehgestell beim anheben nicht nach unten aus der Lok.


    Die Antriebe der Re 450 haben einen Schwachpunkt. Der Zahnkranz auf der Antriebsachse ist mit vielen Dehnschrauben mit einem Drehmoment von 80Nm auf der Scheibe befestigt. Diese Schrauben brechen regelmässig im Betrieb und verursachen Schäden an den Zahnrädern. Der grosse Zahnkranz kostet um die Fr. 10'000, also ein recht teurer Spass. Ein anderes Drehgestell mit mehreren fehlenden Schrauben stand daneben. Es handelt sich meist um klassische Ermüdungsbrüche. Der Antrieb sieht fast aus wie bei der Modellbahn, auf dem Motor ein kleines Zahnrad ca. 150mm, auf der Achse ein grosses, fast so gross wie das Antriebsrad.


    Die Antriebsräder müssen den Raddurchmesser innerhalb von 4mm haben. Ist das nicht der Fall muss die Lok auf die Unterflur Drehmaschine. Grössere Differenzen ergeben Probleme im Antrieb.


    Betreffend der LED der Beleuchtung wurde meine Beobachtung bestätigt, die Lampen sind feuchtigkeitsempfindlich und viele LED Reihen bei der roten Schlussleuchte fallen aus. Es sind zunehmend vor allem Re 420 Lion mit allerlei defekten an den Schlussleuchten unterwegs.

    Gruss Erwin



    Wer rast, der verpasst das Leben.


    Kein Platz für weitere Sammelstücke ist nur eine faule Ausrede. ;) Es gibt für alles eine Lösung.

  • Die Konstruktion ohne Drehzapfen ist seit Jahrzehnten bei Lokomotiven Stand der Technik. Selbst die Hochleistungstriebwagen RBe 540 sind drehzapfenlos, verfügen jedoch über keine Tiefzuganlenkung. ;)
    Diese wurde bei den SBB erstmals mit den Re 4/4 II realisiert. Die Ae 6/6 ist auch drehzapfenlos, die beiden Drehgstelle sind über eine Querkupplung verbunden. Beim beschriebenen Antrieb der Re 450 handelt es sich um den sogenannten Hohlwellenantrieb. Die Lok hatte übrigens wirklich eine Neuerung, es handelt sich um das erste SBB Serienfahrzeug mit Drehstrommotoren und GTO Umrichtern.

    Gruss aus dem Betrieb
    Otto

  • Hallo zusammen


    Danke Erwin für den interessanten Bericht!


    Das mit dem Drehzapfen scheint auch so eine Art Glaubenskrieg zu sein - bis heute haben Bombardier Loks im allgemeinen keinen Drehzapfen, Siemens hingegen schon. Was denn besser sei, ist auch immer wieder Gegenstand von Messfahrten bzw. wird bei solchen natürlich auch speziell beachtet. So viel ich weiss, sollte das drehzapfenlose Drehgestell Vorteile aufweisen, doch stellen sich solche in der Praxis offenbar doch nicht in dem Masse ein, dass nur noch eine Konstruktion angewendet wird.


    Neuere Konstruktionen mit Drehzapfen, z. Bsp.:


    DB E 120, DB E 152, ÖBB Taurus und dessen Verwandte


    Konstruktionen ohne Drehzapfen, z. Bsp.:


    Re 4/4, Re 6/6, 460/465, Bombardier Loks und zum Bsp. auch die Siemens EG 3100 (Im Prinzip eine sechsachsige 152 - mit drei Achsen ist da natürlich nichts mit Drehzapfen...)


    Gruss Christian

    Gruss Christian


    Meine Fotos; Eisenbahnen (Schwerpunkt Gotthard) und Dampfschiffe: https://www.flickr.com/photos/134896793@N03/ - aktuelles Avatarbild zur Erinnerung an den im Schnee versunkenen Gotthard am 17. April 1999.

  • Mir bleiben solche Konstruktionen besser im Gedächtnis wenn ich sie mit eigenen Augen gesehen habe.


    Die Zahnräder sind schräg verzahnt, das gibt eine zusätzliche axiale Kraft auf das grosse Zahnrad. Dieses ist mit grossen Gummielementen an das Triebrad gekoppelt. Der ganze Aufbau des Drehgestells schaut währschaft und robust aus und nicht sehr nach High Tech. Das Gewicht eines kompletten Drehgestells beträgt immerhin stolze 12 Tonnen, das heisst von den 74 Tonnen Lokgewicht entfallen alleine 24 Tonnen auf die beiden Drehgestelle.

    Gruss Erwin



    Wer rast, der verpasst das Leben.


    Kein Platz für weitere Sammelstücke ist nur eine faule Ausrede. ;) Es gibt für alles eine Lösung.

  • Lieber Erwin
    danke für deinen Bericht. Eine Frage hätte ich noch: gehören jetzt diese 24 Tonnen der Drehgestelle zu den ungefederten Massen an der Lok? Ich glaubte, die ungefederten Massen müssten so klein wie möglich gehalten werden, damit die Schienen nicht so stark belastet würden.
    Herzliche Grüsse
    Oski

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    ...auch Nichtraucher können süchtig sein nach Zündhölzern!

  • Eine Frage hätte ich noch: gehören jetzt diese 24 Tonnen der Drehgestelle zu den ungefederten Massen an der Lok?


    Die Frage kann ich leider nicht beantworten, da mir nicht bekannt ist was als ungefederte Masse gilt. Das Drehgestell ist zusammen mit den beiden Motoren eine komplette Einheit/Baugruppe, der Lokkasten ruht auf den 6 Federn pro Drehgestell.

    Gruss Erwin



    Wer rast, der verpasst das Leben.


    Kein Platz für weitere Sammelstücke ist nur eine faule Ausrede. ;) Es gibt für alles eine Lösung.

  • Lieber Erwin
    Wenn die Beschreibung stimmt, dann kommt, von der Schiene her gesehen, zuerst das Drehgestell samt den eingebauten Motoren, dann folgen die Federpakete und Schwingungsdämpfer. Darüber ruht dann der gefederte Lokkasten. Also ist alles was unterhalb der Federpakete eingebaut ist, die sogenannte ungefederte Masse.
    Herzliche Grüsse
    Oski

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    ...auch Nichtraucher können süchtig sein nach Zündhölzern!

  • Also ist alles was unterhalb der Federpakete eingebaut ist, die sogenannte ungefederte Masse.


    Kann irgendwie nicht stimmen.
    In Wikipedia steht zur Re 4/4 II folgende Info: "Die Re 4/4II ist eine vierachsige, viermotorige Lokomotive auf zwei Drehgestellen. Die Radsätze sind über Schraubenfedern am Drehgestellrahmen abgestützt. Das Drehgestell ist sekundär mit Schraubenfedern (ursprünglich Gummifedern) tief angehängt am Lokomotivkasten abgestützt."


    Das würde demnach heissen, nur die Radsätze sind ungefederte Masse, das Drehgestell selbst ist gefedert. Ich glaube nicht, dass dieser Aufbau grundlegend geändert wurde von Re 4/4 II zu Re 450.

    Gruss

    Peter


    dif-tor heh smusma - live long and prosper

  • Lieber Röbi
    danke für die Erklärung. Es war mir ja wirklich nicht geheuer, dass 24 Tonnen ungefederte Masse da sein sollten. Die Primärfedern sind doch diejenigen, die man seitlich in den Drehgestellen sieht, also die zylindrischen Federn. Diejenigen des Lokkastens sieht man im Normalbetrieb wahrscheinlich gar nicht.
    Herzliche Grüsse
    oski

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    ...auch Nichtraucher können süchtig sein nach Zündhölzern!

  • Die Radsätze sind ungefedert.
    Die Drehgestelle sind wegen der Primär-Federung gefedert.

    Und genau hier setzt die Diskussion bei den modernen Konstruktionen wieder ein...


    Traxx (DB 185, SBB 482/484, BLS 485/486) in der Ausführung für Vmax 140km/h sowie auch die Siemens DB 152 haben zum Beispiel Tatzlagerantriebe. Diese sind am Drehgestellrahmen aufgehängt und stützen sich eben wie eine Tatze auf der Radsatzwelle ab. Dadurch ist neben dem Radsatz nun auch der Antrieb nicht mehr gefedert, die ungefederte Masse entsprechend höher. Da aber ein Drehstrommotor einer 482 erheblich leichter ist als ein Einphasenmotor beispielsweise einer Re 4/4 II, ist dies bis zu Geschwindigkeiten von 140km/h vertretbar (Ausnahme E 186 in D und NL? - warum weiss ich nicht...). Die Abkehr vom technisch machbaren - zum Beispiel der Konstruktion der 465 - zum technisch Notwendigen (Minimum) führt dann eben dazu, wieder Tatzlagerantriebe zu verwenden. Wenn die Rechnung aufgeht, warum nicht!


    Um eben den Antrieb auch zur voll abgefederten Masse zählen zu können, muss dieser eben auch komplett gefedert zum Radsatz ausgeführt werden - daher die Gummielemente in Erwins Bericht.


    Noch ein persönlicher Hinweis zu Drehgestellen und High Tech: Die wahrscheinlich höchst entwickelten Drehgestelle, gesehen vom Antriebsstrang aus, haben aus meiner Sicht die HGe 4/4 II der SBB/MGB - dort ist ein Differentialantrieb verbaut, der im Zahnstangenbetrieb einen Drittel der Zugkraft über die Adhäsionsräder überträgt - all dies nur mechanisch realisiert! Ich konnte diese im Rahmen eine Semesterarbeit live erleben; ein beeindruckendes und bleibendes Erlebnis.

    Diejenigen des Lokkastens sieht man im Normalbetrieb wahrscheinlich gar nicht.

    Das kommt hingegen wieder auf die Lok an...


    Bei den 460er "stehen" die Sekundärfedern regelrecht auf dem DG-Rahmen - das sieht auf Bildern des einzelnen Drehgestells etwas ungewöhnlich aus; durch diese Konstruktion und natürlich auch die tiefen Schürzen sieht man da nichts. Bei der 152 - die hat ein DG-Rahmen wie z. Bsp. ein EW IV sieht man sie auch nicht. Bei der DB 120 sind sie jedoch sehr schön aussen in der Mitte des Drehgestells zu sehen.


    Gruss Christian

    Gruss Christian


    Meine Fotos; Eisenbahnen (Schwerpunkt Gotthard) und Dampfschiffe: https://www.flickr.com/photos/134896793@N03/ - aktuelles Avatarbild zur Erinnerung an den im Schnee versunkenen Gotthard am 17. April 1999.

  • Die meisten modernen Maschinen, inkl. Eurosprinter und Vectron, sind ganz klar der Kategorie "Low-Budget-Fahrzeuge" zuzuordnen. Der Drehzapfen bei der 1116 ist genau so eine Massnahme, wie auch die Tatzlagerantriebe in etlichen Fahrzeugen mit Vmax 140-160. Der Verschleiss am Oberbau ist insbesondere auch durch den ordentlich grossen Radstand in engen Kurven beachtlich, weshalb die Re 482 nur recht kurz am Gotthard gastierte. (Derzeit fahren wieder Re 484 über den Berg, doch das ist ein anderes Thema.)
    Im freien Netzzugang interessiert sich ein EVU mittlerweile leider herzlich wenig dafür, wie gleisschonend das entsprechende Rollmaterial ist. Bei der Berechnung des Trassepreises werden solche Parameter nicht berücksichtigt.


    Es gibt auf dem Markt aktuell jedoch eine ganz feine Maschine, die in der Schweiz noch weitgehend unbekannt ist. Es handelt sich um die Skoda 109 E, respektive deren Verwandte, die in Kooperation mit Hyundai entstanden sind. Der Achsstand ist sehr kurz und damit die Kurvengänglichkeit hervorragend, die Vmax. liegt dennoch bei 220 km/h. Der Preis liegt allerdings auch über eine halbe Million über einem Siemens Vectron (ca. 3.75 Mio € / Stk.) und fast eine Million über einem Standard-Traxx für den Güterverkehr (ca. 3.25 Mio € / Stk.)


    Die HGe 4/4 II ist auch punkto Verarbeitungsqualität ein Spitzenprodukt. Wer schon mal einen 24er Gabelschlüssel in einem HGe Zahnradgetriebe gemahlen hat, weiss wovon ich spreche. :phat:

    Gruss aus dem Betrieb
    Otto

  • Die vermutlich angenehmste Wartungsvorschrift bei den DPZ dürfte folgende sein:


    Lautsprecheranlage: Kontrolle
    Während der Arbeit werden die Abteile mit Musik beschallt.


    Als Gerät kommt ein iPod mit Microtel zum Einsatz.

    Gruss Erwin



    Wer rast, der verpasst das Leben.


    Kein Platz für weitere Sammelstücke ist nur eine faule Ausrede. ;) Es gibt für alles eine Lösung.

  • Damit können die Lautsprecher mit nervendem oder weniger nervenden Tönen beschallt werden


    Echt?
    Dann könnte man am Morgen alle verschlafenen Pendler mit ein Bisschen Hard Rock auf Touren bringen.. :phat::grin:

    Gruss Matthias

  • ofern man das FIS richtig bedienen kann, ist der Weg zum Test-Microtel überflüssig.


    Aha, du hälst dich nicht an die Vorschriften, tss tss. Das Microtel mit iPod ist vorgeschrieben. :D

    Gruss Erwin



    Wer rast, der verpasst das Leben.


    Kein Platz für weitere Sammelstücke ist nur eine faule Ausrede. ;) Es gibt für alles eine Lösung.

  • Martin,


    Ich finde es einfach immer wieder spannend wie es Arbeitsanweisungen und Vorschriften gibt, die im täglich Leben mit weitaus besseren Mitteln erledigt werden können. Niedergeschrieben werden sie scheinbar eher selten. Dafür finde ich diese Diskrepanzen immer, zwar unbewusst aber zielsicher. ;)

    Gruss Erwin



    Wer rast, der verpasst das Leben.


    Kein Platz für weitere Sammelstücke ist nur eine faule Ausrede. ;) Es gibt für alles eine Lösung.

  • Es heisst ja nicht, das der welcher die Anweisung schreibt (egal ob Bahn ode sonst was) die Sache hundertprozentig verstanden hat und die einfachste und praktikabelste Lösung ist. Wenn du im Fall des Microtel zuerst noch 200m zu Fuss, um es zu holen, zurücklegst, ist die andere Lösumg definitv praktikabler. Ist ein Kollege noch auf dem Zug, gehts sogar noch speditiver und einfacher. Ein einfacher komplett Check (Optische schäden, Licht l, FIS usw) ist so oder so Pflicht. Gleichzeitig könnte man mit der FIS-Lösung auch noch die Bildschirme getestet werden. (Das ist die Allgemeine Kontrolle) Steht im Auftrag gemäss Anweisumg blablabla mit Microtel, ist es Vorschrift und dass auch so auszuführen ;)
    Martin